Samstag, 15. September 2012

Ist der ESM-Vertrag völkerrechtswidrig?

Nach Artikel 32 des ESM-Vertrags ist der ESM, vertreten durch den Gouverneursrat, eine volle Rechtspersönlichkeit, welche unter anderem folgende Rechte:
ARTIKEL 32 Rechtsstatus, Vorrechte und Befreiungen
[…]

(2)
Der ESM besitzt volle Rechtspersönlichkeit; er besitzt die uneingeschränkte Rechts- und
Geschäftsfähigkeit,

a) bewegliches und unbewegliches Vermögen zu erwerben und zu veräußern,

b) Verträge abzuschließen, 

c) Partei in Gerichtsverfahren zu sein und 

d) ein Sitzabkommen und/oder Protokolle zu unterzeichnen, soweit dies notwendig ist, um sicherzustellen, dass sein Rechtsstatus und seine Vorrechte und Befreiungen anerkannt und durchgesetzt werden.
[…]
Der ESM ist also eine eigenständige Rechtspersönlichkeit, jedoch sind weder der ESM selbst, noch der Gouverneursrat Vertragspartei im ESM-Vertrag, denn Vertragsparteien sind allein die unterzeichnenden Staaten. Dieser Punkt ist im folgenden von ganz entscheidender Bedeutung.
Nach Artikel 32, Absatz 2a kann der Gouverneursrat Verträge abschließen. Eine Einschränkung über die Art der Verträge, die durch den Gouverneursrat abgeschlossen werden können, wird jedoch nicht gemacht. Er könnte also auch solche Verträge abschließen, welche Art und Umfang des ESM-Vertrags ändern und somit direkte Auswirkungen auf die eigentlichen Vertragsparteien hätten.
Die Annahme, dass der ESM-Vertrag zumindest in Art und Umfang durch den Gouverneursrat geändert werden kann, ohne dass die unterzeichnenden Staaten, welche ja, wie erwähnt, die eigentlichen Vertragsparteien sind, zustimmen müssen, wird auch durch andere Artikel des ESM-Vertrags bestätigt, wie z.B. dem folgenden:
ARTIKEL 19

Überprüfung der Liste der Finanzhilfeinstrumente

Der Gouverneursrat kann die in den Artikeln 14 bis 18 vorgesehene Liste der Finanzhilfeinstrumente überprüfen und beschließen, sie zu ändern.
Das Wiener Abkommen über das Recht der Verträge legt in Artikel 39 jedoch eindeutig fest, dass nur die Vertragsparteien einen völkerrechtlichen Vertrag ändern können:
ARTIKEL 39
Allgemeine Regel über die Änderung von Verträgen
Ein Vertrag kann durch Übereinkunft zwischen den Vertragsparteien geändert werden. Teil II findet auf eine solche Übereinkunft insoweit Anwendung, als der Vertrag nichts anderes vorsieht.
Wie oben dargelegt, sind aber weder die Institution des ESM selbst, noch der Gouverneursrat Vertragsparteien im ESM-Vertrag und somit ist der ESM-Vertrag, der ja solche Änderungen des Vertrags, zumindest in indirekter Weise, durch den Gouverneursrat zulässt, aus meiner Sicht der Fakten völkerrechtswidrig, denn er verletzt das Wiener Abkommen.
Mein Dank gilt Arend Lammertink, von dem ich in dieser Sache wertvolle Hinweise erhielt.

Freitag, 14. September 2012

Sind die deutschen Vorbehalte zum ESM-Vertrag völkerrechtlich wirksam?

Nachdem ich das Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge genauer studiert habe, bin ich davon überzeugt, dass die vom Bundesverfassungsgericht angeordneten Vorbehalte Deutschlands zum ESM-Vertrag rechtlich gesehen absolut wirkungslos sind, und dass dies von vornherein bekannt war.

Ich zitiere Artikel 19 des Wiener Übereinkommens:

Art. 19 Anbringen von Vorbehalten

Ein Staat kann bei der Unterzeichnung, Ratifikation, Annahme oder
Genehmigung eines Vertrags oder beim Beitritt einen Vorbehalt anbringen,
sofern nicht


a) der Vertrag den Vorbehalt verbietet;
 

b) der Vertrag vorsieht, dass nur bestimmte Vorbehalte gemacht werden dürfen, zu denen der betreffende Vorbehalt nicht gehört, 

oder
 

c)  in den unter Buchstabe a oder b nicht bezeichneten Fällen der Vorbehalt mit Ziel und Zweck des Vertrags unvereinbar ist.


Punkt a) und b) treffen nicht zu, denn der ESM-Vertrag verbietet weder Vorbehalte noch gestattet er bestimmte Vorbehalte.

Punkt c) schließt solche Vorbehalte aus, die mit dem Ziel und Zweck des jeweiligen Vertrags unvereinbar sind.

Die Aufhebung der Schweigepflicht gegenüber dem Bundestag ist mit dem ESM-Vertrag definitiv nicht vereinbar, da durch diesen Vorbehalt die Geheimhaltung ja generell nicht mehr gewährleistet wäre.

Ebenso verhält es sich bei der Festlegung der Haftungsobergrenze, denn der ESM-Vertrag legt ja ganz bewußt keine Obergrenze fest.

Aus meiner Sicht wären die Vorbehalte nur wirksam gewesen, wenn der ESM-Vertrag geändert und neu ratifiziert worden wäre. Dies ist aber nicht geschehen.

Aus meiner Sicht ist demnach das Urteil kein Teilerfolg, sondern eine vom höchsten deutschen Gericht ausgesprochene Legalisierung des Tatbestands des Hochverrats und somit einer der schlimmsten Justizskandale der Neuzeit.